Kurzbiographie
Alljährlich an den Gedenktagen des großen Heiligen vom Niederrhein erwacht das alte Kaiserswerth zu neuem Leben. Dann dröhnen die Münsterglocken über die weite grüne Ebene, die Schiffe im Strom legen Festtracht an, und auch die weißgekälkten Staffelgiebel in Gassen und Gäßchen schmücken sich mit Fahnen und Girlanden. Sankt Suitbertus hält seinen Umzug nicht wie Sankt Martin hoch zu Roß, umbraust vom Jubel der Kinder, sondern auf den Schultern der Männer, begrüßt von feierlichen Gesängen. Der Schrein, der seine Gebeine birgt, funkelt im verschwenderischen Glanz der Sonne. Gold und Juwelen, edles Holz und Kristallknäufe - nichts war den Menschen des katholischen Mittelalters zu schade, um einen Heiligen zu ehren.
Dies Land am Niederrhein ist Suitbertus' Land. Er hat es den Wäldern und Sümpfen abgewonnen. Dieses Volk am Niederrhein ist Suitbertus' Volk. Er hat es kolonisiert und dem Christentum erobert. Eingereiht in die tapfere Schar angelsächsischer Mönche, die unter Willibrords Führung im Jahre 690 nach Friesland zog und sich in Utrecht niederließ, hielt er es nicht lange in einem Reich aus, das schon von den Franken unterworfen war und deshalb ohne Gefahr für Leib und Leben missioniert werden konnte. Solch leichte Arbeit mochten andere tun; ihn drängte es, ostwärts vorzustoßen in die unerforschten Gaue jenseits des Rheinstroms, die sogar von den Römern auf der Höhe ihrer Macht nicht unterjocht werden konnten.
Willibrord zeigte jedoch für die Ziele Suitbertus' zunächst wenig Interesse. Ihm lag es näher, erst einmal einen festen Stützpunkt für seine Tätigkeit zu schaffen; eifrig verfolgte er mit dem fränkischen Hausmeier Pipin den Plan, ein Bistum Utrecht zu gründen, und Suitbertus hatte in achtzehnjähriger benediktinischer Ordenszucht Schweigen und Gehorchen gelernt. Die Freiheit des Wirkens begann für ihn erst, als Willibrord im Jahre 692 nach Rom gereist war und die Mönche in Ermangelung eines Oberhauptes ihren aktivsten Mitbruder Suitbertus nach England sandten, um dort die Bischofsweihe zu empfangen. Er übernahm damit das Amt eines Chor- und Landbischofs, der nirgendwo fest beheimatet war, sondern wie einst die Apostel von Dorf zu Dorf wanderte. Anfangs wirkte er noch mit Willibrord zusammen. Das waren die Jahre, wo die beiden Freunde bis nach Thüringen und Dänemark vordrangen. Seit aber Willibrord im November 695 zum ersten Bischof von Utrecht erhoben worden war und strenger die Residenzpflicht innehalten mußte, trennten sich ihre Wege, und Suitbertus drang auf eigene Faust in das Land der Brukterer ein. Er predigte das Evangelium im nördlichen Westfalen, im Bergischen Land und am Niederrhein. Die Brukterer begegneten ihm mit vorsichtigem Mißtrauen; er brauchte lange Zeit, um unter ihnen heimisch zu werden. Sein Silber und Eisen nahmen sie gern; denn Metall zu Waffen und Zierat war selten zwischen Ems und Ruhr. Kaufte er aber ein Stück Land, das er rodete und mit Korn bestellte, so verlachten sie ihn wegen dieser weibischen Arbeit. Mühsam, Schritt für Schritt, erkämpfte er sich ihre Achtung. Er hatte gewonnenes Spiel, als seine Siedlungen den Brukterern bewiesen, daß der Mönch außer seinem neuen Gott auch eine neue und lohnende Bodenbewirtschaftung mitbrachte. Sie besuchten die Pferdekoppeln und gefüllten Scheunen des Fremdlings, sie suchten seinen Rat und seinen Umgang und fanden das Ewige Licht.
Die Brukterer wurden christlich. Es war ihr Heil und ihr Untergang; denn mit der Annahme des Christenglaubens erhob sich eine Feuerwolke des Hasses zwischen ihnen und ihren östlichen Nachbarn, den heidnischen Sachsen. Dieser Haß hatte politische Ursachen, denn die Sachsen sahen in den christianisierten Franken ihren Erbfeind und in jedem neubekehrten Volksstamm einen Parteigänger der fränkischen Unterdrückungspolitik. Deshalb sandten sie den Brukterern als Warnung und Kriegserklärung die Leichname der beiden Glaubensboten, die unter den Namen "Der schwarze und der weiße Ewald" bekannt waren. In den morastigen Fluten der Emscher schwammen die Leichen der Erschlagenen zu Tal. Man hatte die Märtyrer kaum bestattet, als auch schon der Heerbann der Sachsen aus ihren Waldgebirgen hervorstieß und die Brukterer in einer blutigen Schlacht an der Lippe fast vernichtete. Suitbertus wurde in Dorsten gefangengenommen und gegeißelt. Er wäre kaum der Hinrichtung entgangen, wenn nicht Freunde ihn heimlich befreit hätten. Schweren Herzens verließ er das Land; sieben Jahre Arbeit schienen umsonst getan. Noch einmal versuchte er diesseits des Stromes, in Lintorf, Angermund und Ratingen Fuß zu fassen, mußte dann aber doch über den Rhein gehen. War das Ende der Brukterermission gekommen?
Andere Missionare, auch der große Bonifatius, haben sich in ähnlicher Lage ganz auf die altgläubigen Völker Westeuropas zurückgezogen. Suitbertus aber blieb unmittelbar an der Grenze stehen. Er gab keinen Fußbreit Erde ohne zwingende Not preis. Wenn die dezimierten Brukterer ihn brauchten, wollte er sofort zur Stelle sein. Pipin von Heristal schenkte ihm auf Bitten seiner Gemahlin Plektrudis damals den Königshof Rinhusen auf der Rheininsel Kaiserswerth. Hier lag eine wohlbefestigte Burg mit einer fränkischen Besatzung, die den Mönchen bei einem Überfall der Sachsen Schutz bieten konnte. Außerdem gehörten zu dem Hof Rinhusen zahlreiche Wald- und Wiesenparzellen auf der rechten Rheinseite, die auf Suitbertus übergingen, so daß er sich, unbehindert von der Sorge um den täglichen Lebensunterhalt, ganz seiner Missionsarbeit widmen konnte. Ohne Zögern begann er mit dem Bau eines Klosters; denn sollte sein Werk nicht auseinanderbrechen, so mußte er sich viele Schüler und Jünger erziehen, opferbereite Seelen, die weder den Schlachtruf der Sachsen noch die unmenschlichen Strapazen der Kolonisation fürchteten.
Suitbertus hätte sich keinen günstigeren Ausgangspunkt für seine Missionsreisen wünschen können. Im Rücken hatte er die fränkische Macht und den schützenden Strom, vor sich ein Arbeitsfeld, das von der Lippe bis zur Sieg, von Moers bis in die Eifel reichte. In zahllosen Tagesmärschen hat er dieses Land durchquert, auf sumpfigem Waldboden genächtigt, sich von Mücken zerstechen lassen, um nicht einen einzigen Hof zu übergehen. Man wies ihn rauh ab, man hetzte ihn mit Hunden, man vergaß die germanische Gastfreundschaft, weil die Opferpriester mit dem Zorn der Götter gedroht hatten. Aber Suitbertus ließ sich nicht abweisen. Er gab nicht eher Ruhe, bis man ihn angehört hatte. So bildete er Zellen des wahren Glaubens mitten in heidnischen Gauen, und Gott sorgte dafür, daß die Saat, die er ausgestreut hatte, aufging und tausendfältige Frucht trug. Als er an den Niederrhein kam, standen dort erst wenige christliche Kirchen, verstreute und isolierte Vorposten Kölns. Als er am 1. März des Jahres 713 zu Kaiserswerth seine Seele in die Hände des Schöpfers zurückgab, säumten viele Gotteshäuser das Ufer des Stromes.
Auf seinem Reliquienschrein trägt der Heilige einen achtstrahligen Stern zwischen den Händen - ein Symbol, das sich auch auf einem Münchener Gemälde von Bartel Bruyn wiederfindet und offenbar andeuten will, daß die Frohe Botschaft vom Gottessohn durch die Vermittlung dieses Glaubensboten wie der Stern von Bethlehem den noch im Dunkel des Heidentums beharrenden Volksstämmen am Niederrhein aufging. Das Römische Martyrologium führt unter dem 1. März eine ganze Anzahl heiliger Blutzeugen in Rom, Marseille und Heliopolis auf, deren Gedächtnis die Kirche heute feiert, aber wenn dem hl. Suitbertus auch die Krone des blutigen Martyriums versagt blieb, schulden wir Deutschen ihm doch ewigen Dank.
Zusammengestellt aus dem Buch: "Helden und Heilige" von Hans Hümmeler, 1983
Die Figur des Hl. Suitbertus wurde von dem Künstler W.Zierlein geschaffen.